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Lernen und Lehre von der Wiedererinnerung bei Platon

Worum geht es?

Die Wiedererinnerungslehre Platons ist eingebettet in den Dialog Menon. Die Frage, ob die Tugend lehrbar sei, und die sich direkt zu Beginn des Dialogs anschließende Frage, was überhaupt die Tugend sei, lässt die Gesprächspartner Sokrates und Menon in einige Verwirrung geraten. Wie in den meisten so gearteten Dialogen Platons zählt Menon, nachdem Sokrates fragt, was denn die Tugend sei, zunächst einige Beispiele auf. Diese sind zwar allesamt Tugenden, wie Sokrates ihm eingesteht, doch gehe es ihm nicht darum, Bestandteile der Tugend zu benennen, sondern das ihnen allen Gemeinsame, mit anderen Worten: das Wesen (oder das Sein) der Tugend zu suchen.

Mit dieser Aufgabe nun tun sich beide schwer. Menon versucht eine erste Definition, die Tugend bestehe darin, dass man über die Menschen zu herrschen vermöge. Dies wird von Sokrates direkt von der Hand gewiesen: Einerseits können auch Sklaven tugendhaft sein, und die Tugend eines Sklaven kann keineswegs das Herrschen sein. Andererseits ist das Vermögen, über Menschen zu herrschen, nur dann Tugend, wenn dies auf gerechte, besonnene und tapfere Art und Weise erfolgt, nicht etwa auf tyrannische. Demnach aber setzt das gute Herrschen über Menschen Tugenden wie die Gerechtigkeit bereits voraus und kann so nicht als Definition für Tugend taugen.

Sokrates erklärt seinen Standpunkt anhand von Farbe und Gestalt, indem er einen analogen Fall zu erklären versucht. Dies soll uns nicht näher interessieren. Infolgedessen versucht Menon sich erneut, eine Definition der Tugend abzugeben: Er glaubt, das Sein der Tugend bestehe im Streben und Bewirken des Schönen und Guten. Sokrates erklärt daraufhin, dass alle Menschen dem Grunde nach zum Guten streben; auch dann, wenn sie Böses für Andere bewirken, denn hieraus erhoffen sie sich Gutes für sich selbst. Menon gesteht dies zu und es bleibt das Bewirken des Guten übrig als Definitionsversuch der Tugend. Doch auch hieran findet Sokrates Anstoß: Auch Gold und Silber herbeizuschaffen sei demnach Tugend, denn Reichtum und Ansehen sowie Ämter im Staat sind als Gutes anzusehen. Nun ist jedoch der Erwerb von viel Geld nicht immer tugendhaft, besonders dann nicht, wenn man es nicht rechtschaffen erwirbt. Der Räuber mag ja beim Beschaffen von Gold und Silber einigen Erfolg haben, und dem neuen Definitionsversuch Menons gemäß müsste dies bedeuten, dass er tugendhaft ist, wenn er erfolgreich ist. Doch das ist widersinnig, auch der Gelderwerb und jedes Herbeischaffen von Gutem muss selbst tugendhaft vonstatten gehen. Erneut wurde versucht, die Tugend durch ihre Teile zu erklären.

Menons Frustration hält sich zwar noch in klaren Grenzen, er fängt aber schon an, Sokrates mit einem verwirrenden Zitterrochen zu vergleichen (Men. 79e-80d) – sowohl auf geistiger wie auf physischer Ebene:

O Sokrates, ich habe schon gehört, ehe ich noch mit dir zusammengekommen bin, daß du allemal nichts als selbst in Verwirrung bist und auch andere in Verwirrung bringst. Auch jetzt kommt es mir vor, daß du mich bezauberst und mir etwas antust und mich offenbar besprichst, daß ich voll Verwirrung geworden bin, und du dünkst mich vollkommen, wenn ich auch etwas scherzen darf, in der Gestalt und auch sonst, jenem breiten Seefisch, dem Zitterrochen zu gleichen. Denn auch dieser macht jeden, der ihm nahekommt und ihn berührt, erstarren.

Men. 79e-80a

Sowohl Menon als auch Sokrates haben nun also erkannt, dass sie nicht wissen, was die Tugend eigentlich ist. Sokrates hat dies bereits zu Beginn des Dialogs zugegeben, er sagte, weder wisse er, was die Tugend sei, noch kenne er jemanden, der es gewusst hätte. Menon nun sieht, nachdem er so viele – und, wie er glaubt, gute – Reden über die Tugend gehalten hat, ein, dass er von etwas gesprochen hat, von dem er selbst nicht genau Auskunft geben kann, was es sei. Die Frage, die er nun stellt, ist der Ausgangspunkt dieses Blog-Artikels und führt uns zur Wiedererinnerungslehre.

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